Der Pommernkonvent auf dem 34. Evangelischen Kirchentag vom 1.-5. Mai 2013 in Hamburg
Vom 1.-5. Mai 2013 fand der 34. Evangelische Kirchentag in Hamburg statt – und somit schon zum vierten Male in dieser Stadt. Lautete das Motto des vorangegangenen Kirchentages in Dresden: „…da wird auch dein Herz sein“ (aus Matthäus 6, 21), so stand er dieses Mal unter dem Wort „soviel du brauchst“ (2. Mose 16, 18): Wie Gott die Kinder Israel beim Auszug aus Ägypten mit dem Notwendigsten versorgte, so sollte auch heute für uns gelten, soviel wie nötig und nicht mehr als nötig zu brauchen. Kirchentagspräsident Prof. Dr. Gerhard Robbers drückte es so aus: „Es geht darum, dass die Gesellschaft die Maßlosigkeit erkennt und gleichermaßen Zuversicht, Maßhalten und Mitmenschlichkeit beweist.“ Er wünsche sich und allen Teilnehmern, dass durch den Kirchentag besser verstanden werde, was wir wirklich brauchen, und man Wege finde, dorthin zu gelangen. Wohl gehe es darum, Armut zu überwinden, aber auch darum, hin zu Gemeinschaft und religiöser Erfüllung zu finden.
Gastgeberin des Kirchentages war die vor rund einem Jahr zu Pfingsten gegründete Nordkirche – entstanden aus dem Zusammenschluss der Nordelbischen Kirche (mit Schleswig-Holstein und Hamburg), der Landeskirchen von Mecklenburg und Vorpommern. Das war für die neue Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland eine großartige Chance, eine gute Gastgeberin zu sein. Dies wurde schon gleich zu Anfang erfahrbar - auf dem „Abend der Begegnung“, einem großen Straßenfest zum Auftakt des Kirchentages am 1. Mai. Einen Abend lang waren dazu Menschen aus aller Welt in der Hamburger Innenstadt und entlang der Elbe zum Mitfeiern eingeladen. Zwischen Rathaus, historischer Speicherstadt und moderner Hafencity stellten sich Kirchengemeinden, Dienste und Werke aus der ganzen Nordkirche vor. Sie luden von 18 bis 22 Uhr ein zu Kulinarischem aus verschiedenen Regionen, Musik, Kultur, Spiel und Begegnungen. So nutzten die beteiligten Kirchen den „Abend der Begegnung“, um die Vielfalt ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zum Abschluss wurde der Abendsegen ausgeteilt, und die Besucher hielten zu Zehntausenden Kerzen in der Hand, was ein faszinierender Anblick beim anbrechenden Abend war.
Vorangegangen war die feierliche Eröffnung des Kirchentages mit zeitgleich vier Open-Air-Gottesdiensten. Allein 25.000 Menschen versammelten sich bei himmlischem Frühlingswetter auf dem Rathausmarkt. Das zum Schluss gemeinsam gesprochene Vaterunser war ungemein beeindruckend, wie es alle Besucher im Gebet vereinigte.Das Gesamtprogramm umfasste 2.500 Veranstaltungen, wie Bibelarbeiten, Gottesdienste, Podiumsdiskussionen und Konzerte oder Mitarbeit an einem der Stände mit insgesamt rund 36.000 Mitwirkenden. Es gab mehr als 116.000 Dauerteilnehmer – fast ebenso viele wie vor zwei Jahren in Dresden. Etwa 5.500 ehrenamtliche Helfer, so viele wie nie zuvor auf einem Kirchentag, trugen bei zum Gelingen. Viele Teilnehmer schliefen in Privatquartieren oder Schulen.
Und auch der „Konvent Evangelischer Gemeinden aus Pommern“ stellte sich, gemeinsam mit mehreren anderen Hilfskomitees, im Rahmen des Konvents der ehemaligen evangelischen Ostkirchen, der Begegnung mit den zahlreichen Besuchern des „Marktes der Möglichkeiten“,einer Plattform für Initiativen, Gruppen und Organisationen aus Kirche und Gesellschaft, in einer der Hallen des Messegeländes. An diesem Stand waren, neben dem Pommernkonvent, noch folgende Konvente bzw. Hilfskomitees, mit ihren Wurzeln in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, vertreten: Gemeinschaft ev. Schlesier, Gemeinschaft ev. Ostpreußen (diese an einem eigenen Stand nebenan), Baltischer kirchlicher Dienst, Ev.-Luth. Kirche aus Bessarabien, Galizien-Deutsche, Siebenbürger/ Banater Schwaben, Ev.-Luth. Deutsche aus Polen und die Gemeinschaft Ev. Posener. Unübersehbar machte dieser Stand wieder deutlich, dass es hier um Vermittlung von Kenntnissen über das Schicksal der entsprechenden Heimatgemeinden im Zusammenhang der schwerwiegenden Ereignisse und Folgen des Zweiten Weltkrieges sowie seither, vor allem, um deren ehrenamtliche Betreuung und sachbezogene Unterstützung geht.
Für die große Zahl der durch die Messehalle strömenden Besucher stellt der Stand unserer Konvente im Grunde eine Besonderheit dar, denn er präsentiert nicht nur unsere aktuellen und auch künftig wesentlichen Aufgabenbereiche, sondern macht zugleich den zeitgeschichtlichen Hintergrund der durch den Weltkrieg bedingten schwerwiegenden Vertreibungsfolgen sichtbar: Die große Wandkarte unseres Info-Standes übt immer wieder eine besondere Anziehungskraft auf so manche der zahlreich vorbeiströmenden Besucher der Messehalle aus.Es zeigte sich auch diesmal erneut, dass es den Besuchern, die das Gespräch mit uns suchen oder die bereit sind, sich einem eingehenderen Gespräch zu öffnen, meistens darum geht, eigene familiengeschichtliche Zusammenhänge mit Hilfe dieser Landkarte zu reflektieren. Sie vollziehen zum Beispiel nach, von wo sie aus Mittel- oder Osteuropa herstammen und wie es ihnen auf den erzwungenen Wegen nach Westen ergangen war.
Unser Stand weist also unmissverständlich auf das Vertreibungsschicksal der zum Teil seit Jahrhunderten in jenen östlichen Regionen sesshaft gewesenen Deutschstämmigen hin. Bis auf eine einzige Ausnahme nahm niemand Anstoß an der Tatsache, dass die Vertreibung der Deutschen bzw. Deutschstämmigen klar in dieser Öffentlichkeit dargestellt wird. Unser geistige Erbe wird besondere Betonung erhalten, wenn im Jahre 2017, mit dem Abschluss der “Luther-Dekade“, der 36. Ev. Kirchentag in Berlin und Wittenberg stattfinden wird.
Die Bedeutung des Ev. Kirchentages zeigt sich nicht zuletzt an der beträchtlichen Zahl hochrangiger politischer Persönlichkeiten. Abgesehen von der Verlockung einer beträchtlichen medienwirksamen Bühne für die jeweilige politische Selbstdarstellung, zumal in Wahlkampfzeiten, bleibt davon unberührt, dass Evangelische Kirchentage, im Sinne des Wortes Jesu vom „Salz der Erde“, sich immer schon in die Politik eingemischt haben und dies auch weiterhin tun werden. In einer Zeit zunehmender religiöser Spannungen kann, wie es ein Redakteur des Hamburger Abendblatts (Edgar S. Hasse) in der Ausgabe vom 4./5.5.2013 ausdrückte, der Protestantismus dann für die Menschen attraktiv bleiben, wenn er den Dialog mit den Weltreligionen sucht.Nicht zuletzt für die protestantische Kirche in der russisch-orthodox dominierten Kaliningrader Region (dem früheren Ostpreußen) stellt diese Aufgabe eine bedeutende Herausforderung dar.
Der biblische Text für den Schlussgottesdienst am 5. Mai, aus dem Propheten Micha
(Kap. 4), wurde in der Predigt ganz im Sinne des Mottos „soviel du brauchst“ ausgelegt. 130.000 Gläubige feierten das Kirchentags-Ende auf dem Hamburger Stadtpark. In seiner Predigt betonte der anglikanische Bischof N. Baines, dass die Welt nicht so sein muss, wie sie jetzt ist. Wenn jeder hat, „soviel er braucht, dann hat er genug“.So setzte der Evangelische Kirchentag ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit und schärfte sein Profil als christliche Bewegung für eine Welt gegenseitiger Solidarität unter den Menschen dieser einen Welt.
Helmut Köhler, Münster