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Internationale Bonhoeffer-Tage in Stettin am 16. und 17. Juni 2018

 

Mitglieder mit Begegbungstagung versammlung vom 23.-25.11. in der Versöhnungskirche in Travemünde

 

6. Studientag der AG für pommersche Kirchengeschichte:

„Pomerania non cantat?“ – Pommern singt nicht?

 

 

Festakt

In Erinnerung an den

50. Jahrestag der Veröffentlichung der Ostdenkschrift

(Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis

des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn)

 

Am 17. September 2015 nahm ich für den Konvent evangelischer Gemeinden aus Pommern, gemeinsam mit dessen Vorsitzendem, OKR i. R. Dr. Christoph Ehricht, an der Veranstaltung in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Berlin, auf Einladung der EKD und des Polnischen Ökumenischen Rates, teil.

 

Zur Eröffnung und Einführung hielt der Vorsitzende des Rates der EKD Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm einen ausführlichen Rückblick auf 50 Jahre Ostdenkschrift und ihre Wirkung.

Grundlegende Idee sei auf deutscher wie polnischer Seite die gemeinsame Bemühung um

Versöhnung gewesen.

Dabei gab es zwei Richtungen zu unterscheiden:

Zum einen die Lage der vertriebenen Deutschen zu bedenken und zum anderen zu entscheiden, wie angesichts der neuen Grenzziehung damit zurecht zu kommen wäre.

Ein Neuanfang ohne Versöhnung sei hier nicht denkbar gewesen.

Es ging darum, als ethischen Impuls einen Dialog auf neuer Ebene anzubieten. Den Begriff der Versöhnung auch in das politische Denken einzubringen, erwies sich als äußerst wirksam, und die Idee der Versöhnung bleibt ja auch weiterhin gültig.

Versöhnung setze voraus, dass die Verantwortung für das im deutschen Namen begangene Unrecht an den Juden und an den Völkern im östlichen Europa übernommen werde.

Ohne solches fremdenfreundliche Verhalten wären alle früheren Erklärungen nicht glaubwürdig gewesen.

 

Auf der anderen Seite sei festzustellen, dass auch Deutsche gelitten hätten. Etwa 14 Millionen hätten fliehen müssen.

In den 60er Jahren sei es nicht opportun für die Vertriebenen gewesen, über ihr Leid zu reden. Es hätte auch Menschen gegeben, die in ihrer Verbitterung über die in der Ostdenkschrift ausgedrückte Haltung der EKD die evangelische Kirche verließen.

Doch könne in der Folge von einem gelungenen Versöhnungsprozess gesprochen werden!

Heute sei nicht nur zu erinnern, sondern auch die Herausforderung im Gefolge der Denkschrift zu erkennen, denn seither sei es zu einem Netzwerk von Begegnungen im Namen von Versöhnung gekommen.

 

Anschließend hielt Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier den Festvortrag mit dem Thema: Versöhnung und Verständigung als Leitlinie politischen Handelns.

Er stellte an den Beginn, dass Verständigung und Versöhnung in den Herzen der Menschen zu wirken hätten.

Auf diesem Wege sei der Warschauer Vertrag möglich geworden.

Vorausgegangen sei als entscheidender Anstoß der Hirtenbrief der deutschen und polnischen Christen.

 

Es sei um die große Frage der deutschen Schuld und ihrer Folgen gegangen beim Bemühen, den Weg zur Versöhnung frei zu machen: Hierzu hätten die Verfasser der Ostdenkschrift die Deutschen ermutigen wollen.

Die Ostdenkschrift hätte den Weg zu verbesserten Beziehungen zu Polen geebnet, und sie stelle daher einen Wendepunkt auf dem Weg in eine gemeinsame nachbarschaftliche Zukunft dar.

Der „große reformierte Theologe Karl Barth“ wurde angeführt, der 1919, in seiner berühmten Rede „(Der) Christ in der Gesellschaft“ , aussagte, dass die christliche Botschaft „alle Bereiche des Lebens und der Gesellschadt“ durchdringe und davor schütze, den „momentanen Zeitgeist als letzte Wahrheit zu betrachten“ und eine Kraft sei, die erkenne, was „in der Gesellschaft notwendig ist“ und welche „die Menschen frei macht von unwürdigen Zwängen“ – eine „Kraft, die Verantwortung übernimmt … (so) wie die Autoren der Ostdenkschrift“ - rund 50 Jahre nach Barths Rede.

In seiner ebenfalls berühmten Rede von 1063 in Tutzing habe Egon Bahr dann die Losung des „Wandels durch Annäherung“ ausgegeben – ein Zeichen für den Mut der Politik, „erstarrte Positionen zu revidieren“.

Zum funktionierenden Prozess im politischen Rahmen gehöre natürlich der „Wille der Menschen, diese Zusammenarbeit mit Leben zu füllen“, was „an unseren Beziehungen zu unseren polnischen Nachbarn besonders sichtbar“ sei.

Politisch seien wir mit Polen so eng verbunden wie nie zuvor!

Erst kommen die Menschen, dann die Politik!“

Besonders wichtig sei der gegenseitige kulturelle Kontakt.

 

Das Dokumentationszentrum der “Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ stehe für die Notwendigkeit, die Perspektive des jeweils Anderen zu respektieren – „aus damaliger Sicht und aus der heutigen“.

Ein gemeinsames deutsch-polnisches Geschichtsbuch könnte geschaffen werden.

Die Zukunft unserer Beziehungen sollte ihren wesentlichen Sinn jenseits der Politik finden.

Es sei an das 25jährige Jubiläum des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages von 1991 zu erinnern – besonderer Anlass für die Vertiefung einer auf Europa ausgerichteten „deutsch-polnischen Zukunftsagenda“.

 

Mit dem Verweis darauf, dass die großen europäischen Fragen nur gemeinsam gelöst werden könnten, wurde der Schwerpunkt der Rede vom eigentlichen Thema der Bedeutung und Wirkung der Ostdenkschrift auf die aktuelle Problemlage der nach Europa strömenden Flüchtlinge verlagert.

 

Zur Frage des Verhältnisses des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn wird abschließend hervorgehoben, dass zuerst die Menschen zählten und dann erst die Politik.

Nachdem zuvor festgehalten wurde, dass die Ostdenkschrift insgesamt ihre Berechtigung wegweisend bewiesen hätte durch Vorbereitung der Konzeption einer versöhnlichen und friedlichen Partnerschaft mit Polen, verlässt der Vortragende das Thema, unter dessen Vorzeichen dieser Festakt eigentlich angekündigt wurde und leitet, unter Verwendung des Arguments der grundlegenden Bedeutung des Verständnisses für den Partner, zur aktuellen Situation des Flüchtlingsproblems in Deutschland über.

 

Auch hier gehe es darum, Verständnis für den Partner zu zeigen als Zeichen der Übernahme von Verantwortung in Europa und darum,- dass man von Menschlichkeit und Solidarität nicht nur zu spreche, sondern auch danach handelte.

So werden Beispiele für deutsche Solidarität mit den Flüchtlingen. Hier müsse die Gesellschaft in Vorlage treten.

Darüber hinaus sei der Blick künftig auf den Ursprung der heutigen Fluchten, zum Beispiel aus Afrika oder dem Nahen Osten, zu richten, um Lösungen zu finden, dass die Flüchtlinge später wieder in ihre jeweilige Heimat zurückkehren könnten.

Mit einem kurzen Schwenk zurück zum eigentlichen Thema wird auf den großen Europäer Wladyslaw Bartoszewski, der Auschwitz überlebte, verwiesen, der bereits vor 20 Jahren die Zusammenarbeit unserer beiden Staaten im geeinten Europa gepriesen habe. 30 Jahre zuvor seien es „der Mut und die Weitsicht“ der Verfasser der Ostdenkschrift gewesen, die unserem Land „den Weg der Versöhnung mit unserem Nachbarn Polen bahnten“. Das sei mutig, wichtig und wegweisend für unsere Freundschaft in Europa gewesen. Dafür gelte ihnen bis heute unser Dank.

Im Anschluss sprach Erzbischof Jeremiasz, Präses des Polnischen Okumenischen Rates, über

Versöhnung in der Erfahrung der Kirchen.

Seine Ausführungen kreisten um die Bewusstmachung von Versöhnung als einem Grundwert und damit dem Hauptereignis zwischen Gott und den Menschen, und diese sei Ausdruck des Wirkens des Heiligen Geistes. In diesem Sinne verfolge er den Prozess der „Versöhnung in der Erfahrung der Kirchen“ in seinem Land.

Abschließende Worte sprach Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Beauftragter des Rates der EKD für deutsch-polnische Beziehungen.

Die Ostdenkschrift sei die be3deutendste Denkschrift der Evangelischen Kirche. Sie beweise realistisches Urteil und bezeuge echte Bereitschaft zur Versöhnung mit der Forderung, dass Deutschland sich auf einen neuen Weg einstelle, indem man auf die abgetrennten Heimatgebiete jenseits von Oder und Neiße verzichte. Der Zweite Weltkrieg sei im Namen Deutschlands ausgelöst worden, und durch die Anerkennung dieser Tatsache sei es möglich gewesen, nach vorne zu schauen.

Mit dem zugleich deutsch und polnisch gesungen Kirchenlied „Nun danket alle Gott“ fand der Gedenkakt seinen harmonischen Abschluss. -

 

Anmerkung zum Bericht:

In der ursprünglichen Einladung der EKD war die Rede von „Moderation und Abschluss“ gewesen.

Im vor Ort verteilten Programmblatt der Veranstaltung hieß es dann: „Abschluss“.

Da man wohl davon ausging, dass zur Sache der Ostdenkschrift, umstritten wie sie einst war, keine weitere Aussprache am Platze sei, wurde auf ein zusammenführendes Gespräch offensichtlich verzichtet.

Der Außenminister hatte zwar kurz die Vermutung angedeutet, dass viele der Anwesenden im Saale, wie auch er selbst persönlich als „Politiker und Christ“, von der Diskussion um die „gesellschaftliche und politische Rolle der Kirche“ „umgetrieben“ seien. Doch war dies für ihn offensichtlich kein Anlass, auf diese für die so angesprochenen Gäste, wie ja auch für ihn selbst, nicht unerhebliche Feststellung wenigstens kurz näher einzugehen.

 

Die damalige große Betroffenheit über die Ostdenkschrift, erkennbar an den vielen nachfolgenden Kirchenaustritten, hatte sich also im Laufe der langen Zeit danach als zeitbedingte Aufgeregtheit erledigt…

So ist der Schmerz der Vertreibung aus der angestammten Heimat im Rückblick als eine rein gefühlsmäßige Reaktion zu betrachten, wie diese Veranstaltung das erkennen ließ.

Man muss doch auch sehen, dass es nicht nur damals, nach 1945, Vertriebene und Flüchtlinge gab, sondern doch auch heute wieder neu!

Mit dem gemeinsam zweisprachig gesungenen Lied „Nun danket alle Gott“ fand der Gedenkakt zu einem harmonischen Abschluss. -

 

Am 1. Oktober 2015, im Anschluss an diese Gedenkveranstaltung in Berlin, wandte sich sodann der Beauftragte des Rates der EKD für Fragen der Spätaussiedler und der Heimatvertriebenen, Kirchenpräsident i. R. Helge Klassohn, in einem Brief an die deutschenevangelischen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler, um mit einem tröstlichen Wort zu den vielfältigen Fragen von Flucht und Vertreibung Stellung zu beziehen. Dies zu tun, war er vom „Konvent der ehemaligen evangelischen Ostkirchen“ ausdrücklich gebeten worden.

 

Einleitend stellte er das Wort aus 2. Kor 5,19 voran:

Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber … und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“

Zuvor war aus dem Kreis der Vertreter der ev. Gemeinschaften und Hilfskomitees des Konvents der ehemaligen evangelischen Ostkirchen die Bitte an Helge Klassohn ergangen, im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Ostdenkschrift ein wenigstens nachträglich noch tröstendes Wort an die evangelischen Heimatvertriebenen zu richten zu richten, soweit dies damals die Ostdenkschrift nicht hinreichend vermocht hatte.

Nachdrücklich wurde an die Verbrechen des Deutschen Reiches im 2. Weltkrieg erinnert – zugleich passend zum 75. Jahrestag des Beginns dieses verheerenden Geschehens.

Das nachfolgende Verhängnis der völkerrechtswidrigen Vertreibung von ca. 14 Millionen Deutschen, zumeist von Alten, Frauen und Kindern, sei die Konsequenz des verständlicherweise angestauten Hasses der zuvor durch Deutschland unterjochten Völker .

In der Ostdenkschrift von 1965 hatte immerhin auch das Unrecht an den erbarmungslos vertriebenen Ostdeutschen Erwähnung gefunden.

Viele von den „schockierten und traumatisierten Vertriebenen hätten aber mehr Zeit zur Trauer und weiter Raum zur Klage gebraucht. Die Verfasser der Ostdenkschrift hätten „auf die Traumata der deutschen Vertriebenen seelsorgerlich eingehen und zugleich einen politischen Neuanfang zwischen den Völkern befördern wollen“.

Abschließend wurde mahnend übergeleitet zur heute aktuellen Aufgabe, unter dem „Wort von der Versöhnung“ „Mut zur Bewältigung der menschlichen Katastrophen unserer Tage im Geist der Friedfertigkeit, der Gerechtigkeit und der großzügigen Gastbereitschaft“ aufzubringen, denn Gott selbst habe „unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“. –

 

Vielleicht fühlten sich auch viele der vertriebenen Ostdeutschen nicht nur seitens der Kirche unverstanden, sondern außerdem von den mehrheitlich in ihrer vertrauten Heimat verbliebenen Deutschen, welche das besondere Schicksal der heimatvertriebenen Deutschen in oft hartherziger Weise nicht als mitfühlende Mahnung an sich selbst zu begreifen vermochten..

Hier hätte, im öffentlichen Raum des Landes, eine rückhaltlosere kirchliche Würdigung der erlittenen Opfer der vertriebenen Deutschen, als der am unmittelbarsten Betroffenen der Vergeltung durch die Sieger, seelisch sehr viel mehr an Trost und Gefasstheit schenken können.

Helmut Köhler (Münster)

 

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