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Internationale Bonhoeffer-Tage in Stettin am 16. und 17. Juni 2018

 

Mitglieder mit Begegbungstagung versammlung vom 23.-25.11. in der Versöhnungskirche in Travemünde

 

6. Studientag der AG für pommersche Kirchengeschichte:

„Pomerania non cantat?“ – Pommern singt nicht?

 

 

Kleiner Wegweiser in die pommersche (Kirchen-) Geschichte

Lange Jahre hindurch war das Standardwerk der pommerschen Kirchengeschichtsschreibung die Gesamtdarstellung des Stettiner, später Stralsunder Pastors Hellmuth Heyden. Sie beruht auf dem Forschungsstand der Mitte des vorigen Jahrhunderts, ist aber immer noch instruktiv und unverzichtbar. (Hellmuth Heyden, Kirchengeschichte Pommerns, 2 Bde. 2. Auflage Köln-Braunsfeld 1957). Viele interessante Aspekte der Kirchen- und der Landesgeschichte werden in den Beiträgen der Festschrift für Roderich Schmidt, einen der Nestoren der pommerschen Geschichtsforschung im 20. Jahrhundert und langjährigen Vorsitzenden der Historischen Kommission für Pommern, beleuchtet (Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Werner Buchholz und Günter Mangelsdorf. Köln Weimar Wien 1995) Einen schnellen und verlässlichen Gesamtüberblick kann man sich schließlich verschaffen durch die „Pommersche Kirchengeschichte in Daten“, die der langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte, Dr. Norbert Buske, zusammengestellt hat und die im Internet unter den Downloads bei www.kirche-mv.de zugänglich ist.

 

Für die Frühzeit ist die Darstellung in Johannes Bugenhagens Pomerania interessant zu lesen – als Geschichtserzählung und zugleich als Quelle für das Geschichts- und Zeitverständnis des späteren Doktor Pomeranus. Das 1517 entstandene Werk ist seit einigen Jahren erstmals in einer sorgfältig edierten lateinisch-deutschen Ausgabe zugänglich. (Johannes Bugenhagen, Pomerania. Faksimiledruck und Übersetzung der Handschrift von 1517/18. Herausgegeben von Norbert Buske, übersetzt von Lotte Poelchau unter Mitirkung von Boris Dunsch und Gottfried Naumann. Schwerin 2008). Für die ersten Jahrhunderte der Kirche in Pommern liegt jetzt die Monographie von Jürgen Petersohn, Die Kamminer Bischöfe des Mittelalters. Amtsbiographien und Bistumsstrukturen vom 12. – 16. Jahrhundert. Schwerin 2015, vor. Rechtliche, religionspolitische und geistesgeschichtliche Entwicklungslinien werden hier eindrucksvoll verbunden in einem Buch, das die jahrzehntelange Beschäftigung seines Verfassers mit der Geschichte des südlichen Ostseeraums fokussiert auf das Stift Kammin und seine Repräsentanten. Im Anhang findet sich eine umfangreiche Bibliographie zu Quellen und Darstellungen.

 

Für die Reformationszeit sei auf die umfangreiche Literatur über Johannes Bugenhagen verwiesen, von der hier stellvertretend genannt wird Hans-Günter Leder, Johannes Bugenhagen Pomeranus – vom Reformer zum Reformator. Studien zur Biographie. Herausgegeben von Volker Gummelt Frankfurt 2002. Zur pommerschen Reformationsgeschichte insgesamt haben Hans-Günter Leder und Norbert Buske den Sammelband Reform und Ordnung aus dem Wort. Johannes Bugenhagen und die Reformation im Herzogtum Pommern. Berlin 1985 vorgelegt.

 

Für die neuere pommersche Kirchengeschichte ist die umfangreiche, eine breite Quellenbasis nutzende und auch die Vorgeschichte des im Titel genannten Zeitraums angemessen berücksichtigende Untersuchung von Werner Klän zu nennen: Werner Klän, Die evangelische Kirche Pommerns in Republik und Diktatur. Geschichte und Gestaltung einer preußischen Kirchenprovinz. Köln-Weimar-Wien 1995

 

Eine besonders lesenswerte und originelle Darstellung der pommerschen Kirchengeschichte im 19. und 20. Jahrhundert hat Rudolf von Thadden verfasst: er verbindet die Geschichte seines hinterpommerschen Heimatdorfes Trieglaff mit der spannungsvollen Entwicklung nach Einführung der Altpreußischen Union ab 1817, dem Aufkommen der Erweckungsbewegung, der pommerschen Auswanderungswelle nach Amerika und der Entstehung der altlutherischen Kirche mit reichs- und weltpolitischen Entwicklungen bis hin zum Kirchenkampf und zum Ende des alten Pommern nach dem 2. Weltkrieg. (Rudolf von Thadden: Trieglaff. Eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807 – 1948. Göttingen 2010)

 

Auf dem Hintergrund der Jubiläumsfeierlichkeiten der ersten Missionsreise Otto von Bambergs wurde1824 in Stettin die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst gegründet, deren Publikationsorgan ab 1832 die Baltischen Studien wurden: Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte. Herausgegeben von der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V., zugleich Mitteilungsblatt der Historischen Kommission für Pommern und der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V.. (Neue Folge Band 101, Band 147 der Gesamtreihe. Kiel 2016)

 

Die Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte, gegründet 1978 von Norbert Buske, veröffentlicht darüber hinaus in unregelmäßigen Abständen Beiträge zur Kirchen-, Kunst- und Landesgeschichte Pommerns Im Thomas Helms Verlag Schwerin. Mit Band 19 ist die genannte Untersuchung von Jürgen Petersohn über die Kamminer Bischöfe das vorläufig letzte Buch in dieser Reihe, in der als Band 18 eine dreibändige Festschrift für den Gründer der Arbeitsgemeinschaft erschien (Christi Ehr und gemeinen Nutzen willig zu fodern und zu schützen. Festschrift für Norbert Buske. Herausgegeben von Michael Lissok und Haik Thomas Porada. Schwerin 2014).

 

Streifzug 1: Die Anfänge

  Die Geschichte des Christentums in Pommern/Pomorze, dem „Land am Meer“, ist von Anfang an eingebunden in die vielfältigen Prozesse, Konflikte und Entwicklungslinien des südlichen Ostseeraums. Sie beginnt in der herkömmlichen Geschichtsschreibung mit den Missionsreisen des Bamberger Bischofs Otto 1124/25 und 1128 sowie – für die Insel Rügen und Teile des ihr vorgelagerten Festlandes – mit der Eroberung durch Bischof Absalom von Roskilde im Jahr 1168.

 

Schon gut 100 Jahre zuvor hatte es den Versuch einer ersten Kirchengründung durch Reinbern, den Bischof von Salz-Kolberg (999 ? – 1013/1015) gegeben, von der Thietmar von Merseburg in seiner Chronik berichtet. Sein Bericht lässt jedoch vieles im Dunkeln. Offenbar wurde Reinberns Bistum von Papst Silvester II. und dem polnischen Herzog Boleslaw Chrobry dem Erzbistum Gnesen zugeordnet und sollte den westslawischen Volksstamm der Pomoranen dort integrieren. Der Versuch ist gescheitert, Reinbern ist nach 1013 in Kiew als Häftling Wladimirs des Heiligen gestorben. Diese Vorgeschichte ist trotz der vielen offenen Fragen ein interessanter Beleg für die in der pommerschen Landschaft miteinander ringenden Machtinteressen Roms, Polens, Dänemarks und selbst der Kiewer Rus. Sie prägen und bestimmen auch in den folgenden Jahrhunderten die Geschichte.

 

Auch die zwei Missionsreisen Ottos spiegeln gegenläufige Interessen wider: 1124 kam der Pommernapostel aus Bamberg über Böhmen und Gnesen mit Geleitschutz des polnischen Herzogs Boleslaw von Osten her nach Pommern. In Stargard traf er den Pommernherzog Wartislaw I. und begann dann sein Wirken in Wollin, Stettin und anderen Orten. 1128 reist Otto dann über Magdeburg mit dem Segen des dortigen Erzbischofs Norbert von Xanten nach Demmin, Usedom und den übrigen Stationen seiner zweiten Missionsreise. Ottos Missionsreisen waren erfolgreich, weil er überzeugend auf freiwillige Bekehrung setzte und zugleich offenbar geschickt regionale Machtinteressen und Organisationsstrukturen nutzte.

 

Johannes Bugenhagen schildert in seiner Geschichtsdarstellung „Pomerania“ anschaulich viele Ereignisse und Begebenheiten, die ihm auch aus mündlichen lokalen Überlieferungen zur Kenntnis kamen. Nachdenklich stimmt sein Bericht über einen ersten Missionsversuch vor Otto durch einen wegen seiner Heiligkeit geachteten spanischen Mönch Bernhard. Seine Bekehrungsversuche scheitern, und er wird in Wollin verprügelt und vertrieben. Er reist nach Bamberg, wo er dem Bischof Otto erklärt: Die Pommern sind ein rohes Volk, das den Menschen allein nach seinem Aussehen beurteilt und meine Demut verworfen hat. Du aber, solltest du für ihr Heil sorgen wollen, musst unbedingt mit Glanz und Reichtum und vornehmer Begleitung auftreten…

 

Am 14. Oktober 1140 nahm Papst Innozenz II. die Bischof Adalbert – einem Reisebegleiter Ottos – übertragene pommersche Kirche unter päpstlichen Schutz und bestimmte die Adalbertkirche Wollin zum Bischofssitz. Das ist die Geburtsstunde des Kamminer Stifts, das in den folgenden Jahrhunderten bis zur Reformation die Organisationsstruktur der pommerschen Kirche bildete und ein sich 500 km erstreckendes Gebiet westlich und östlich der Odermündung umfasste. Um 1500 erstreckte es sich von Güstrow über Demmin und Greifswald bis zur Leba vor den Toren Danzigs – ein Bistum in verschiedenen Herrschaftsbereichen, im Kern dem der pommerschen Herzöge, dessen Metropolitanzugehörigkeit – Gnesen oder Magdeburg – bis zum Schluss offen gelassen wurde. Um das Jahr 1175 errichtete der Pommernherzog Kasimir I. das Domstift Kammin, das fortan Bischofssitz wird.

 

Eine Sonderstellung nimmt das Fürstentum Rügen ein. Es wurde 1168 von Bischof Absalom von Roskilde erobert, und die Insel mit Teilen des ihr vorgelagerten vorpommerschen Festlandes wird in sein Bistum und das Königreich Dänemark inkorporiert. 1321/1354 fällt das Gebiet an das Herzogtum Pommern-Wolgast, das 1478 - leider nur für wenige Jahrzehnte - mit Pommern-Stettin vereinigt wird. Die Insel gehört jedoch in der kirchlichen Administration bis zur Reformation zum dänischen Stift Roskilde, Teile des ihr vorgelagerten Festlands zum Bistum Schwerin und zum Kamminer Stift.

 

Das geistliche Leben in den pommerschen Diözesen wurde in der Folgezeit durch ein Netz von Klostergründungen geprägt. 1193 gründen Zisterziensermönche im Auftrag des Dänenkönigs das Kloster Bergen, 1199 Hilda/Eldena bei Greifswald, 1231 das Kloster Neuenkamp/Franzburg. Schon um 1160 erlaubte Herzog Kasimir I. Prämonstratensermönchen aus Lund die Gründung eines Klosters in Belbuck bei Treptow, das später große Bedeutung in der Reformationsgeschichte Pommerns und des ganzen südlichen Ostseeraums erlangen sollte.

 

Vom 12./13. Jahrhundert an fördern die pommerschen Herzöge und Territorialfürsten die deutsche Besiedlung. Herzog Barnim I. (1210/18 – 1278), genannt der „Stadtgründer“, gründet nach Magdeburgischem oder Lübischem Recht Stettin, Pyritz, Pölitz, Anklam, Altdamm und viele andere Städte. Fürst Wizlaw von Rügen gründet 1234 Stralsund, Greifswald erhält 1241von ihm Marktrecht. Ein städtisches Bürgertum entwickelt sich, die großen Backsteinkirchen sind Ausdruck der erstarkenden Stadtgesellschaften, die oft auch Mitglied der Hanse sind. Pommern verwandelt sich vom slawischen Gebiet zu einem deutschen Teilstaat. Spuren des Nebeneinanders sind bis heute erhalten, z. B. in den beiden Nachbardörfern Wendisch Baggendorf und Kirch Baggendorf in der Nähe von Greifswald.

 

Streifzug 2: Pommern wird evangelisch

  Die Herzöge Barnim IX. und sein Neffe Philipp I., die das Herzogtum 1532 erneut geteilt hatten, berufen im Herbst 1534 einen Landtag nach Treptow an der Rega ein, auf dem die Landstände die Einführung der Reformation beschließen sollen. Barnim hatte in Wittenberg studiert und war dort mit Luthers Lehre vertraut geworden, Philipp erhielt seine Erziehung in der Pfalz. Zum Landtag hatten sie neben dem Adel den Kamminer Bischof Erasmus von Manteuffel und Johannes Bugenhagen eingeladen sowie die evangelischen Geistlichen Christian Ketelhut aus Stralsund, Paul vom Rode (Stettin), Johannes Knipstro (Greifswald), Jacob Hogensee (Stolp) und andere.

 

Die kirchliche Erneuerung im Geist Wittenbergs hatte zuvor bereits in den wichtigsten pommerschen Städten Fuß gefasst. Am bekanntesten ist die Einführung der Reformation in Stralsund 1524/25 geworden. Sie ging einher mit sozialen und politischen Unruhen in der Hansestadt, die zu einem Bildersturm in der Nikolaikirche führten und an deren Spitze Christian Ketelhut ( 1492 – 1546 ) stand, der aus dem Kloster Belbuck kam und zum Freundeskreis Bugenhagens gehörte. 1525 wurde für Stralsund die erste reformatorische Kirchenordnung erlassen, verfasst von Johann Äpinus (1499 – 1553), ebenfalls einem Mitstreiter Bugenhagens aus Belbucker Zeit, ab 1529 bis zu seinem Tod Pfarrer an St. Petri in Hamburg. In Hamburg fand übrigens zehn Jahre später ein Konvent statt, auf dem die Städte Lübeck, Bremen, Hamburg, Rostock, Stralsund und Lüneburg unter dem 15. April eine Beschlussfassung verabschiedeten, in der sie sich auf ein gemeinsames Zeugnis verpflichteten: Weil Gott „darum zu bitten sei, die reine Predigt des Hl. Evangeliums zu bekräftigen, haben sie es für ratsam geachtet, dass vor allem zur Erhaltung des Friedens in den Kirchen und dem gemeinsamen Besten gehören werde, wenn die Prediger in diesen Städten, die von alters her miteinander in festem Verbündnis gewesen, in der Lehre, der Religion und dem Ceremonien Gebrauch so viel möglich unter sich übereinstimmen.“ Ein frühes Dokument der Zusammengehörigkeit auf dem Gebiet der heutigen Nordkirche! Aber kehren wir noch einmal kurz zurück zum Treptower Landtag 1534.

 

Aus Enttäuschung über eine aus ihrer Sicht nicht befriedigende Berücksichtigung ihrer Interessen bei der Verteilung kirchlicher und klösterlicher Besitztümer verlassen die Ritter den Landtag, die Einführung der Reformation gilt dennoch als beschlossen und Johannes Bugenhagen wird mit der Erarbeitung einer Kirchenordnung beauftragt, die 1535 in Kraft tritt. Sie ähnelt in weiten Teilen Bugenhagens früheren Ordnungen für Braunschweig (1528), Hamburg (1529) und Lübeck (1532) und regelt das gottesdienstliche Leben, die Schul- und Bildungsverantwortung und soziale Fragen.

 

Mit der Einführung der neuen Kirchenordnung entsteht die pommersche Landeskirche unter landesherrlichem Summepiskopat. Dem Kamminer Bischof war von Bugenhagen zwar vorgeschlagen worden, weiterhin gewisse Leitungsfunktionen zu übernehmen. Er lehnte dies jedoch ab und hatte keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung. Ebenso werden in der Folgezeit die Rechte und Zuständigkeiten der Bistümer Roskilde für Rügen und Schwerin für Stralsund abgelöst, im Gegenzug allerdings auch die Rechte Kammins für Güstrow und die Uckermark. Kirchliche Gerichts- und Verwaltungsbehörden werden Konsistorien an wechselnden Orten (Greifswald 1543, Kolberg 1558, Stralsund 1561, Stettin 1563 u.a.). Die geistliche Leitung wird nach einem Beschluss einer Synode in Stettin 1544 in vier Generalsuperintendenturen: Stettin, Greifswald, Kolberg und Stolp, wahrgenommen. Pommersche Landesuniversität und geistiges Zentrum Pommerns wird die 1456 gegründete Alma Mater in Greifswald.

 

Nach dem Aussterben des pommerschen Herzogshauses der Greifen 1637 und vor allem in der Folge des für Pommern verheerenden Dreißigjährigen Krieges geht der landesherrliche Summepiskopat nach dem Nordischen Krieg 1720 bis zum Wiener Kongress vom schwedischen König (als Reichsfürst des Heiligen Römischen Reiches) für den größten Teil Pommerns auf Brandenburg/Preußen über. Das nördliche Vorpommern verbleibt bis 1815 beim König von Schweden. (Es wird erst ab 1806 unmittelbar dem schwedischen Staat angegliedert, ohne dass diese Integration in den Wirren der damaligen Kriegszeit und der Besetzung durch dänische oder französische Truppen umgesetzt wird.) In beiden Teilen Pommerns wird auf die kirchliche Eigenständigkeit geachtet. So konnte 1734 vor einer geistlichen Behörde in Stralsund Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf ein theologisches Examen ablegen, was ihm in anderen deutschen Landeskirchen nicht möglich war. Im brandenburgisch-preußischen Teil bildet sich ein lutherischer Bekenntnisstand heraus, getragen nicht zuletzt von dem Bestreben, eigene Identität zu wahren, auch im Gegenüber zu dem seit 1613 reformierten Herrscherhaus.

 

Kleine reformierte Gemeinden bestehen u.a. in Stettin und in Stolp, wo reformierte „Hofprediger“ wirken. Besonders zu erwähnen ist Daniel Friedrich Schleiermachers Wirksamkeit in Stolp von 1802 – 1804, weil mit seinem Namen wohl Beziehungen zur pommerschen Romantik verbunden werden können, zu Ludwig Gotthard Kosegarten ( 1758 – 1818), dem aus Mecklenburg (Grevesmühlen) stammenden Lehrer von Philipp Otto Runge in Wolgast und eigenwillig-markanten Theologen auf Rügen und in Greifswald. Auch die Verbindung der Familien Schleiermacher und Arndt dürfte hier ihren Ursprung haben. Im brandenburgischen Teil Pommerns kommt es durch den Zuzug hugenottischer Glaubensflüchtlinge zur Bildung kleiner reformierter Gemeinden, von denen eine noch heute als Gemeinde der Französisch-Reformierten Gemeinde in Potsdam besteht, also nicht zur pommerschen Landeskirche bzw. dem heutigen pommerschen Kirchenkreis gehört.

 

Im Ergebnis des Wiener Kongresses 1815 wird ganz Pommern Provinz des Königreiches Preußen, ab 1817 wird die Union eingeführt als Verwaltungs-, nicht Bekenntnisunion der Kirche. Als kirchliche Oberbehörde wird 1817 in Stettin das Konsistorium gegründet. In Vorpommern wird die Union eher stillschweigend akzeptiert, im östlichen Teil kommt es zu manchen Konflikten und Auseinandersetzungen, die zu einer kleinen Erweckungsbewegung und zur Bildung der altlutherischen Freikirche führen.

 

Streifzug 3: Wie ging es weiter?

  Nach dem 1. Weltkrieg und dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung entfiel auch in Preußen und seinen Provinzen das landesherrliche Kirchenregiment. 1922 wurde eine Verfassungsurkunde für die evangelische Kirche der Altpreußischen Union beschlossen. Sie ordnete auch die Rechtsverhältnisse der pommerschen Provinzialkirche. An ihrer Spitze stand nun ein von der Synode gewählter Provinzialkirchenrat. 1923 wurde die Landeskirche in einen Ost- und einen Westsprengel geteilt. Leitende Geistliche waren zwei Generalsuperintendenten, die beide ihren Dienstsitz in Stettin hatten, wo in der Elisabethstrasse auch das Konsistorium war. Nach dem Sieg der Deutschen Christen bei den Kirchenwahlen 1933 dankten beide Generalsuperintendenten ab. Pfarrer Karl Thom wurde zum Bischof ernennt und wählte das traditionsreiche Kammin als Bischofssitz. Er starb jedoch bereits 1935, das Bischofsamt wurde danach nicht wieder besetzt. 1933 wurde auch in Pommern ein Pfarrernotbund gegründet. Eine Bekenntnissynode unter Leitung von Reinold von Thadden aus Trieglaff, dem späteren Gründer des Deutschen Evangelischen Kirchentages, trat zusammen. Die Bekennende Kirche unterhielt in Pommern - zunächst auf dem Zingsthof, danach in Finkenwalde bei Stettin, dem heutigen Zdroje - ein Predigerseminar unter Leitung von Dietrich Bonhoeffer. Die Mehrheit der pommerschen Geistlichen folgte in der Zeit des Kirchenkampfes jedoch der kirchenpolitischen, auf Ausgleich bedachten Linie der Reichskirchenausschüsse. Sie wurde angeführt vom Greifswalder Stadtsuperintendenten Karl von Scheven, der nach dem2. Weltkrieg erster Bischof im verbliebenen Teil Pommerns wurde.

 

Nach den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz 1945 wurde Hinterpommern einschließlich der Stadt Stettin unter Verwaltung des neu gebildeten polnischen Staates gestellt. Die pommersche Kirche verlor damit über zwei Drittel ihres Gebietes und vor allem den geistlich lebendigeren Raum evangelischer Frömmigkeit. Das Stettiner Konsistorium wurde nach Greifswald verlegt. Der kirchliche Neuaufbau in Vorpommern erfolgte nach Auflösung der Altpreußischen Union als selbständige Landeskirche auf der Grundlage einer 1950 beschlossenen Kirchenordnung. Die nun so genannte Greifswalder Landeskirche war Mitgliedskirche der Evangelischen Kirche der Union, trat aber zugleich 1955 dem Lutherischen Weltbund bei. 1990 konnte die Pommersche Evangelische Kirche wieder ihren alten Namen annehmen. Darüber war zuvor Einvernehmen mit der Polnischen Evangelisch-lutherischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses erzielt worden, mit deren beiden für Hinterpommern zuständigen Diözesen Breslau/Wroclaw und Pommern-Großpolen/Pomorsko-Wielkopolska 1999 ein Partnerschaftsvertrag abgeschlossen wurde. Er soll der gemeinsamen Verantwortung für Geschichte und Gegenwart evangelischen Lebens in Pommern Ausdruck und Gestalt geben und zur Versöhnung beitragen.

 

Die Beibehaltung des lutherischen Bekenntnisstandes der Gemeinden erleichterte und ermöglichte im Jahr 2012 den Beitritt der pommerschen Kirche zur Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland. In deren Struktur wurde die pommersche Kirche als Pommerscher Evangelischer Kirchenkreis mit den Propsteien Pasewalk, Greifswald-Demmin und Stralsund-Rügen eingefügt.

 

Was wird bleiben?

  Das von Otto christianisierte Pommern und seine von Bugenhagen reformierte Kirche sind heute geteilt in einen deutschen und einen polnischen Teil. In Vorpommern ist die evangelische Kirche immer noch in der Struktur einer Volkskirche lebendig, auch wenn nur noch weniger als ein Fünftel der Einwohner evangelisch ist – mit allen damit verbundenen Herausforderungen und Infragestellungen, denen die Kirche sich nun in der größeren Gemeinschaft der Nordkirche stellen will. Die vielen historisch gewachsenen Verbindungslinien zwischen den Landschaften, die heute die Nordkirche bilden, werden in den Streifzügen in die Geschichte deutlich, freilich auch die Unterschiede.

 

Der östliche Teil, in der polnischen Bezeichnung Westpommern als Teil der „wiedergewonnenen Gebiete“ gehört kirchlich mehrheitlich zum katholischen Erzbistum Szczecin-Kamien. Die dortigen drei evangelisch-lutherischen Gemeinden gehören zu den Diözesen Wroclaw/Breslau (Szczecin/Stettin) und Pomorsko/Wielko- polska/Pommern-Großpolen (Koszalin/Köslin und Slupsk/Stolp) der Evangelisch-lutherischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses Polens. Zu den evangelischen Gemeinden bestehen gute und enge partnerschaftliche Beziehungen. Sie öffnen sich mehr und mehr der Verantwortung für die deutsche Geschichte und Tradition, in Szczecin/Stettin gibt es manche Projekte beispielsweise zur Bewahrung des mit Dietrich Bonhoeffers Wirken in Pommern verbundenen Erbes. Nicht zuletzt die extreme Minderheitssituation der evangelischen Gemeinden ist eine Ursache für enge Beziehungen auch zur selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland und ihren Verwurzelungen nicht zuletzt in der Tradition der pommerschen Altlutheraner.

 

Viele Fragen bleiben offen und brauchen immer neue Antworten. Ist die pommersche Kirche von der Geschichte ihrer Anfänge eingeholt worden? Werden wir aus einer ökumenischen, europäischen – also nicht in konfessionellen, regionalen und nationalen Denkmustern verharrenden - Erinnerungskultur Einsichten für den Weg der Kirche (nicht nur) in Pommern in die Zukunft gewinnen?

 

Christoph Ehricht

 

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